Liebe Eltern,

ich öffne mein Haus, mein Herz, meine Familie für Ihr Kind und Sie. Ich lasse mich auf Ihr Kind und Sie ein. Ich möchte zu Ihnen und vor allem zu Ihrem Kind eine gute, zuverlässige Beziehung aufbauen. Ich beobachte es, nehme Kontakt zu ihm auf, wenn es mir entsprechende Signale sendet, nehme wahr, was es braucht. Mit jedem neuen Kind erfährt das Gruppengefüge eine Veränderung, auf die ich sensibel reagieren muss, um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kleinen, so gut es geht, gerecht werden zu können.

Auch mit Ihnen als Eltern und Erziehungspartnern gehe ich eine intensive Beziehung ein. Sie erleben, wie ich mit Ihrem Kind (allen Tageskindern) umgehe und ich erlebe, wie Sie selbiges machen und wir sprechen über Dinge wie Essen, Schlafrhrythmus, Regeln, Eigenarten und Vorlieben Ihres Kindes etc.

Will heißen: von meiner Seite steckt hier viel Herzblut und "Beziehungsarbeit" drin.

Aber ich mache leider zuweilen die Erfahrung, dass Kinder, kaum dass sie eingewöhnt sind, einen Krippenplatz bekommen und nach kurzer Verweildauer hier wieder weggehen. Oder die Erfahrung, dass Eltern denken, ich würde alles exakt so machen, wie sie es sich vorstellen und nicht annehmen können, dass ich hier teilweise andere Regeln, Verhaltensweisen, Abläufe als sie habe und haben muss, weil ich gleichzeitig fünf sehr junge Kinder begleite. 

Hier kommen meine Bitten: entscheiden Sie, dass Ihr Kind zu seinem eigenen Wohl erst möglichst spät in den Kindergarten kommt. (Wenn Sie Ihr Kind auf die Warteliste für städtische Kindergärten/Krippen setzen, geben Sie bitte an, dass Sie erst mit beispielsweise  2,5 Jahren einen Platz für Ihr Kind möchten.) Achten Sie, dass Ihr Kind sich gerade bei den kleinen Rackern eingewöhnt hat, dass es sich an Rituale gewöhnt, dass es erste Sympathien entwickelt, dass es beginnt, sich mit den anderen kleinen Rackern geschwisterähnlich zu verhalten, dass es mich zu mögen beginnt. Muten Sie ihm nicht zu früh erneut einen Wechsel zu. Es sollte die Chance haben, die kleine Gruppe zu genießen und sich an eine neue Bezugsperson (mich) zu gewöhnen und diese dann auch kontinuierlich zu erleben.

Bitte lassen Sie Ihrem Kind Zeit, in einer kleinen Gruppe zu wachsen und sich geborgen zu fühlen, bevor es in eine größere mit zwangsläufig mehr Eindrücken, Reizen und mehr Fluktuation kommt. Bitte achten Sie die Kindertagespflege als einen wertvollen Ort und sehen Sie sie nicht als ein Wartezimmer, in dem das Kind übergangsweise abgegeben wird.

Und zu meiner zweiten, o.g. Erfahrung: gehen Sie bitte wertschätzend mit dem aus Ihrer Sicht "Anderen" bei mir um. Bitte fühlen Sie sich in meine Situation als Tagesmutter von 5 Kindern ein. Ich gebe hier mein Bestes, aber da ich fünf kleine Racker habe, sieht das Beste hier anders aus als das Beste, was Sie daheim Ihrem Kind geben. Beides hat sein Gutes. Hier lernen die Kinder viel Soziales und Teil einer Gruppe zu sein. Sie lernen , auch mal warten zu können. Durch mein häufiges Singen lernen sie viele Lieder und werden so musikalisch und sprachlich zum Nachahmen motiviert. 

Daheim können Sie Ihr Kind häufiger in Ruhe kuscheln, als ich das kann. Wenn Sie mit ihm draußen sind, darf es sicher häufiger als bei mir auf eigenen Füßen laufen. Bei Ihnen daheim gibt es vielleicht die ein oder andere Schramme weniger, weil Sie nicht fünf stolpernde, hochkletternde und so weiter kleine Racker vorm Hinfallen zu bewahren haben, sondern nur eine/n. Eventuell können Sie daheim die Schlafenszeiten Ihres Lieblings flexibel gestalten, während es hier so ist, dass ich mit Fünfen um 10.30 h mit dem Kinderwagen rausgehe, was für die Meisten bedeutet, dass sie durch das Kinderwagengeschaukel "automatisch" um 10.45 h einschlafen und dann eventuell ihren Nachmittagsschlaf daheim ausfallen lassen. Daheim können sie "windelfrei" praktizieren, weil Sie jederzeit auf die Körpersignale Ihres Kindes reagieren können. Das kann ich mit Fünfen nicht.

 

Wichtig für Sie ist auch, dass nach der ab September 2012 gültigen Satzung zur Förderung der Kindertagespflege in der Landeshauptstadt Mainz ein Platz in der Kindertagespflege ab dem 2. Geburtstag beitragsfrei ist. ("Beitragsfrei" bedeutet leider nicht, dass Sie ab dem 2. Geburtstag gar nichts zahlen müssten, aber es bedeutet, dass der Zuschuss, mit dem die Stadt Ihren Platz in der Kindertagespflege unterstützt, größer und mit weniger bürokratischer Mühe verbunden als vor dem 2. Geburtstag ist. Genaueres hierzu kann Ihnen das Jugendamt Mainz mitteilen. Ich habe kaum Einblick in die Zuschusskonditionen.)

 

 

Ich habe mal aus meiner Sicht die Vorteile der Kindertagespflege bei mir aufgeschrieben und diese den Vorteilen der Krippenbetreuung gegenüber gestellt. Dies ist natürlich rein subjektiv.

Vorteile bei mir:

- absolute Personalkontinuität (nur eine erwachsene Bezugsperson); Vertrauen, Bindung und Geborgenheit können entstehen

- eine kleine, (für mich und für Ihr Kind) überschaubare Kindergruppe, also weniger Kinderwechsel als in einer größeren Gruppe; die Gruppe kann zusammen wachsen und Bindung kann sich entwickeln

- die Möglichkeit für Ihr Kind, sofort mit seinem auch non-verbalen Ausdrucksvermögen wahrgenommen zu werden und sofort Antwort/eine Reaktion von mir zu bekommen. Dies nennt man einen "ununterbrochenen Dialog", durch den Ihr Kind seine Selbstwirksamkeit erlebt und sich wertgeschätzt fühlt.

- relative Ruhe in der Kindergruppe durch die kleine Anzahl von Kindern

- Klarheit im pädagogischen Konzept (keine Veränderungen durch Personalwechsel oder Elternabstimmungen oder Modetrends)

- keine "künstliche Kinderwelt", sondern Leben und Lernen in einem familienähnlichen, Geborgenheit bietenden Alltag (die Kinder wachsen in einen Alltag hinein, der neben Zeit zum Spielen, sich selbst und die anderen miteinander erleben auch Einkaufen, Saubermachen, Warten-Müssen, Essenzubereitung, tägliches Rausgehen, tägliches Singen beinhaltet - also Schönes und Alltagspflichten zum Anfassen und Miterleben)

- baubiologisches Haus, kaum chemische Ausdünstungen

- frisch zubereitetes, hochwertiges Essen

- keine Elternmithilfe nötig

- die Unterbringung eines Kindes bei mir als Tagesmutter erspart der öffentlichen Hand viel Geld, da sie kein Haus bauen und kein Grundstück kaufen muss, da sie keine Erstausstattung an Möbeln und Kinderwagen und Spielgeräten bezahlen muss, da sie keinen Hausmeister, Gärtner, Verwaltung, Köchin, Putzfrau bezahlen muss

Nachteile bei mir:

- höhere Betreuungskosten für die Eltern (als in einer Krippe)

- kein Ersatz, falls ich ausfallen sollte, was sehr selten vorkommt

- keine tollen Sachen wie Matschkiste im Raum, Gymnastikbälle, Sprossenwand, Kindersofa etc.

 

Vorteile einer Krippe/KITA:

- günstigere Kosten

- wenn eine Betreuerin krank ist, fangen deren KollegInnen das auf

- evtl. spezielle Förderkonzepte und entsprechende Ausstattung

 

 

Nachteile einer Krippe/KITA:

- Ihr Kind muss sich auf einige Erwachsene einstellen und weiß oft nicht, wer heute da ist

- die Kindergruppe ist größer und weniger überschaubar

- eine Erzieherin kann bei einer großen Kinderschar nicht alle verbalen und non-verbalen Äußerungen wahrnehmen und beantworten; es entstehen zwangsläufig "unterbrochene Dialoge", die bei kleinen Kindern ein Desinteresse an sozialen Interaktionen (ich werde nicht gesehen und nicht ernst genommen) auslösen können

- viele Reize durch viele Kinder, viel Aktivität und Lautstärke von ihnen

- evtl. Schwankungen im pädagogischen Konzept oder Uneinigkeit im Team/Elternschaft zum pädagogischen Konzept

- der Tagesablauf ist weniger familienähnlich und am Alltag orientiert, sondern er bietet eine für Kinder geschaffene Erlebniswelt

- Kindermöbel; alles ist pflegeleicht und vieles ist aus Kunststoff mit entsprechenden Ausdünstungen

- bei KITAS, die als Elterninitiative organisiert sind, ist in der Regel Elternmithilfe in nicht unerheblichem Umfang erwünscht

- oftmals tiefgekühltes Essen, das einmal in der Woche mit einem Kleinlaster gebracht und lediglich in der KITA aufgewärmt wird

- bei öffentlichen KITAS zahlt die Stadt monatlich sehr hohe Fixkosten für Hausmeister, Erzieherinnen, Küchenfee, Reinigungskraft, Gärtner, Verwaltung etc.. Außerdem muss die Stadt ein Grundstück stellen und ein Gebäude für die KITA errichten.

 

Hier ist ein Zeitungsartikel aus der taz (Seite 6) vom 31.5.2013:

Träger warnt vor den eigenen Kitas

Ist gar kein Kitaplatz besser als ein schlechter? Sollen junge Eltern lieber noch ein Jahr zu Hause bleiben, als ihr Kleinkind in eine (zweifelhafte) Kita zu stecken? Solche Fragen bleiben nicht aus, wenn man, wie die AWO am Donnerstag eine Umfrage unter Kitas vorstellt, die so große Defizite offenbart. Ab dem 1. August 2013 haben Kleinkinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Doch in der Mehrheit der AWO-Kitas werden aus Mangel an Platz, Stellen und Fachkräften die Gruppen vergrößert und mehr Kleinkinder in die Gruppen gesteckt - genau das Gegenteil dessen, was PädagogInnen für unabdingbar halten.

"Wir arbeiten hier ständig hart an der Grenze zu kindeswohlgefährdenden Bedingungen", wird eine Kitaleiterin zitiert. Und der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler fordert ein neues Finanzierungskonzept für Kitas. "Kommunen müssen dauerhaft entlastet werden, indem der Bund einen Großteil der Betriebskosten übernimmt."

Es ist erstaunlich, dass ein Träger so vor seinen eigenen Einrichtungen warnt. Aber ungewöhnliche Umstände führen zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Mehr als die Hälfte der Kitas müssen mangels Finanzierung neuer Stellen nicht nur ihre Gruppen vergrößern. Dies bringt eine ganze Reihe anderer Schwierigkeiten mit sich. Die Räume sind zu klein. Die Erzieherinnen sind überlastet. Sie werden öfter krank und sie kündigen den stressigen Job, den sie kaum mehr fachgerecht ausführen können, häufiger. Da der Erzieherinnenmarkt leergefegt ist, werden fachfremde Personen eingesetzt - die Standards sinken. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es sogar gar keine Mindeststandards für Personal, so Stadler.

Wie sich dies alles auf Kinder auswirkt, beschrieb der Leiter des Sozialpädagogischen Instituts SPI, Rainer Strätz, so: Nie seien wir so lernfähig wie in der frühen Kindheit. Die Handlungserfahrungen prägten die Gehirnstrukturen. Solche Entdeckungen mache ein Kind aber nur, wenn es sicher gebunden ist, wenn eine feste Person ausreichend Zeit hat. Kann es mit dieser Person nicht seine Erfahrungen teilen und sie als "emotionale Tankstelle" benutzen, lernt es nur eins: Angst. "Diese Grundbedürfnisse können nicht warten", warnt Strätz. Sie seien nur gewährleistet, wenn einjährige Kinder zu dritt bei einer Fachkraft sind und Zweijährige zu viert. Dieser Standard würde von keinem einzigen deutschen Bundesland erreicht. Es nütze auch nichts, wenn mehr Erzieherinnen in die Gruppe gesteckt würden. "Eine große Gruppe von 25 Kindern macht Kleinkindern einfach nur Angst." Und Fluktuation unter den Bezugspersonen? "Das ist Gift für die Kinder", so Strätz. "Die deutschen Standards werden den internationalen Anforderungen nicht gerecht."

Was nun? Die Kommunen, so schätzt Stadler, werden versuchen, Klagen auf einen Kitaplatz zu umgehen. Sie bieten Plätze im Nachbarort an, funktionieren eine Turnhalle um und stocken die Zahl der Tagesmütter und -väter auf. Kann man sein Kleinkind guten Gewissens in eine solche Einrichtung schicken? Strätz will nicht explizit davon abraten. Aber empfehlen würde er die Kitas auf keinen Fall.